Psychoanalytische Paarberatung – ein Beitrag zur Geschlechterverständigung
Im Zuge der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter findet die Auseinandersetzung um wechselseitige geschlechtliche Anerkennung und Selbstverwirklichung nicht mehr nur als individueller Kampf innerhalb des Paares statt. Damit einher geht auch ein öffentliches Bewusstsein für beziehungsrelevante und familiäre Fragestellungen und demzufolge eine Etablierung von institutionalisierter Paarberatung.
Zu Zeiten gegenwärtiger gesellschaftlicher Umbrüche, in denen sich moderne Beziehungsmuster der beruflichen Flexibilität und Selbstbestimmung mit traditionellen Verhaltensmustern brechen, gewinnt Paarberatung als Ort der Klärung für Beziehungskrisen und Trennungskonflikte zunehmend an Bedeutung. Besonders unter dem Druck der Vereinbarkeit von Beruf und Familie brechen nicht nur die Bedeutung des Geschlechterverhältnisses in Bezug auf die Mutter- und Vaterbilder, sondern auch in Bezug auf die Erwerbstätigkeit, auf.
Genderspezifisch verinnerlichte Rollenzuschreibungen, familiäre Bezüge im transgenerationalen Kontext und ihre Einflüsse auf gegenwärtige Haltungen und Denkmuster spielen nicht nur auf Seiten des ratsuchenden Paares eine Rolle und durchkreuzen moderne Ideale der Gleichberechtigung, sondern auch auf Seiten der BeraterIn. Während auf der konzeptionellen Ebene die Bedeutung der Selbstreflexion gegenüber dem eigenen Unbewussten und nonverbalen Interaktionsmustern im Rahmen des Übertragungs-Gegenübertragungsgeschehen als konsensfähig gilt und via Supervision institutionalisiert ist, bleibt eine geschlechtersensible Reflexion der Wahrnehmungs – und Deutungsmuster und der zugrunde gelegten theoretischen Konzepte bis heute unterbelichtet. Gerade der Rekurs auf wissenschaftliche Ergebnisse der Säuglings-, Bindungs - und Entwicklungstheorien oder der Affektforschung birgt die Gefahr einer impliziten Tradierung traditioneller Geschlechterzuschreibungen, vorzugsweise des Denkmodells der guten Mutter, das unbewusst tief verankert und strukturell institutionalisiert ist.
In meinem Beitrag soll aufgezeigt werden, dass ein geschlechterkritischer
Blick der BeraterIn auf die Beziehungsvorstellungen und Geschlechter-Zuschreibungen
notwendig ist, um unbewusste Identifizierungen mit Vater –und Mutterbildern
und Asymmetrien zu erfassen, die tief in die gesellschaftliche Geschlechterordnung
eingeschrieben sind. Dann wird deutlich, dass nicht (nur) individuelle
Schwächen für die Beziehungskonflikte verantwortlich gemacht werden
können, sondern vor allem strukturelle Ebenen eine Rolle spielen. Sie
begründen Spannungsfelder, die nicht nur auf die Gegenwart zutreffen,
sondern auch in der Vergangenheit einen bedeutsamen Einfluss auf die
geschlechtertypischen Verhaltensweisen und Identifizierungen ausgeübt
haben. Auf diese Weise können die enttäuschten Ideale oder fundamentalistisch
anmutenden Polarisierungen der ratsuchenden Paare auch als unbewusste
Infragestellung von tradierten sowie gesellschaftlichen Identitätszuschreibungen
und Tabuisierungen reflektiert und nach den Paaren angemessenen emanzipatorischen
Lösungen gesucht werden.